Pflegedienste unter Verdacht: Warum Abrechnungsbetrug in der Pflege so weit verbreitet ist

Immer wieder sorgen Fälle von Abrechnungsbetrug bei ambulanten Pflegediensten für negative Schlagzeilen. Die dadurch verursachten Schäden summieren sich zu Millionenbeträgen. Doch woran liegt es, dass Abrechnungsbetrug in der Pflege so leicht möglich ist?

Hoher Bedarf – geringe Einstiegshürden

Wer die Gründe dafür herausfinden will und sich näher mit der Pflegebranche beschäftigt, stellt zunächst einige erstaunliche Dinge fest. So ist der Bedarf an Pflegedienstleistungen in Deutschland hoch, die Einstiegshürden sind in diesem Marktsegment jedoch überraschend gering – vor allem, wenn man sie mit denen in anderen Gesundheitsberufen vergleicht.

Insgesamt gibt es deutschlandweit deutlich mehr als 12.000 ambulante Pflegedienste, die an über 14.700 Standorten aktiv sind und jährlich insgesamt Leistungen in deutlich zweistelliger Milliardenhöhe abrechnen. Allerdings werden keineswegs alle ambulanten Pflegedienste von entsprechend qualifizierten Fachleuten geleitet. Denn da es keine entsprechenden Anforderungen gab und diese Marktnische finanziell attraktiv erschien, haben sich zahlreiche fachfremde Personen mit einem Pflegedienst selbstständig gemacht.

Die Transparenz des Pflegemarktes gilt als sehr gering, was zum einen der Kleinteiligkeit, zum anderen aber auch bestimmten Besonderheiten des Abrechnungssystems und unzureichenden Kontrollen geschuldet ist.

In den Medien ist das Thema zwar schon seit einigen Jahren immer wieder einmal angeklungen, doch erst in jüngerer Zeit – und im Zusammenhang mit konkreten Vorwürfen gegen bestimmte ambulante Pflegedienste – sind die Probleme ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gerückt.

Wie kriminelle Dienstleister den Abrechnungsbetrug in der Pflege betreiben

Eine effiziente Kontrolle der von den Pflegediensten abgerechneten Leistungen wird vor allem dadurch erschwert, dass die ambulante Pflege vor Ort bei den einzelnen Patienten stattfindet. Das bedeutet also, dass dort außer dem Patienten selbst und dem Pflegepersonal häufig keine anderen Personen anwesend sind, die beurteilen könnten, ob auch alle abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht worden sind.

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Dazu kommt die Art und Weise, wie der notwendige Pflegeaufwand im Einzelfall festgelegt wird. Zuständig dafür sind Ermittler, die für den „Medizinischen Dienst der Krankenkassen“ tätig sind. Sie arbeiten teilweise auf freiberuflicher Basis und erhalten für jedes ihrer Gutachten eine Vergütung in Höhe eines mittleren zweistelligen Euro-Betrages.

Von ihrer Einschätzung hängt eine Menge ab, denn eine Pflegestufe höher oder niedriger macht für die Einnahmen des betreffenden Pflegedienstes nicht selten einen jährlichen Unterschied in fünfstelliger Höhe aus.

Kritiker vermuten daher, dass der Abrechnungsbetrug in der Pflege in vielen Fällen bereits bei der Einstufung der Patienten beginnt – womöglich aufgrund von Gutachten, deren Ersteller vielleicht finanziell daran beteiligt werden, wenn sie für eine höhere Pflegestufe plädieren. Doch auch bei korrekter Einstufung gibt es noch zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten.

Die Grundlage für die Abrechnung sind von Hand ausgefüllte und von den Patienten unterschriebene Abrechnungsbögen. Wenn dort die eine oder andere Leistung zusätzlich angekreuzt wird, fällt das in vielen Fällen nicht auf, solange keine erheblichen Diskrepanzen zwischen dem festgelegten Leistungsumfang und den Abrechnungen auftreten.

Pflegemarkt-Insider beklagen mafiaartige Strukturen

Dass die beschriebenen Besonderheiten des Pflegemarktes nicht nur vereinzelte Manipulationen ermöglichen, sondern Abrechnungsbetrug in der Pflege vielmehr zu Schäden in mindestens dreistelliger Millionenhöhe führt, erklären Kenner der Materie vor allem mit mafiösen Strukturen, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet haben.

Begünstigt wird dies nach Einschätzung von Beobachtern der Szene dadurch, dass sich der Abrechnungsbetrug in der Pflege wenigstens teilweise innerhalb von relativ geschlossenen sozialen Systemen vollzieht.

Dabei arbeiten beispielsweise Ärzte mit Migrationshintergrund mit Pflegediensten zusammen, die Patienten mit demselben Hintergrund behandeln und ebenfalls ihrem Milieu entstammen. Insbesondere bei Patienten, die selbst nicht oder nur wenig Deutsch sprechen, haben betrügerische ambulante Pflegedienste dann leichtes Spiel.

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Statistische Auffälligkeiten

Ein Verdacht auf Unregelmäßigkeiten lässt sich mitunter schon aus sehr auffälligen statistischen Unterschieden ableiten. So wurde beispielsweise in Berlin vor einigen Jahren festgestellt, dass die Zahl der Inhaberinnen und Inhaber russischer Pässe, die Hilfe zur Pflege erhielten, etwa das Siebenfache dessen betrug, was bei Patienten anderer Herkunft zu verzeichnen war.

Ohne grundlegende Reform des Pflegemarktes ist keine Besserung in Sicht

Um den Abrechnungsbetrug in der Pflege wirksam eindämmen zu können, bedürfte es einer grundlegenden Reform des Pflegemarktes. So könnte beispielsweise allein schon der Wechsel von der händischen Abrechnung zu einem elektronischen Verfahren ein deutlich höheres Maß an Transparenz bewirken.

Eine Mindestqualifikation für die Gründer von Pflegediensten würde die Einstiegshürden für unseriöse Akteure zumindest etwas erhöhen. Des Weiteren bräuchte es bei den Staatsanwaltschaften mehr Ermittler, die auf Abrechnungsbetrug in der Pflege spezialisiert sind.

Und last but not least, müssten Sozialämter und Pflegekassen sich regelmäßiger und enger mit Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften austauschen, um einen schnellen Wissenstransfer zum Thema Abrechnungsbetrug in der Pflege sicherzustellen.

Titelbild: ©iStock.com – Ocskay Bence

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